Freitag, 22. Januar 2010
Schwulitäten
Ich trage pinke Schuhe. Und einen Schal in allerbuntesten Regenbogenfarben.
Die Schuhe sind von einem Kollegen, der 80€ dafür blechte, dann monatelang zu feige war sie zu tragen, und sie mir letztendlich ungetragen für 30€ überließ. Das nenn ich mal ein Schnäppchen. Außerdem is es eine kuhle Farbe, ein noch kuhleres Modell - warum also nicht? Der Schal ist von meiner Mutter, selbstgestrickt, sie ist sehr stolz darauf (sie ist jetzt grade in einem Alter, in dem man von WDR2 öfter mal zu anderen Sendern wechselt, sich 'n Loch in den Bauch freut wenn Lieder aus der "Jugend" gespielt werden, und sich eben fragt, was man sich denn noch für Hobbys suchen könnte, und bei ihr war das - ganz klassisch - das Stricken. Sie konnte es schon vorher, aber mittlerweile macht es ihr richtig Spaß! Mir beschert das Ganze regelmäßig Ersatz für verschwunde Socken, 'ne Mütze, die es NICHT bei H&M gibt und allerlei andere baumwollene Spielereien, ich kann mich also nicht beschweren.)
Nun, ich habe allerdings den Fehler gemacht, nicht zu bedenken, was für soziale Konsequenzen ein solches Outfit nach sich zieht, ich dachte mir nur, hey, deine Haut ist schon so langweilig weiß, also lass doch wenigstens Farbe an den Körper! (An alle Rassisten, deren Gefühle ich grade verletzt haben könnte: HAHA!). Mein Stil war schon immer eher individueller Natur, warum also nicht.
Und jetzt werde ich fast täglich gefragt: Schwul?
Mal in der netten ("hey, bist du eigentlich schwul?"), mal der konsequent-inkompetenten Formulierung ("Du bist schwul! ...oder?") und mal in der Bahnhofsversion: "SCHWUCHTEL!!". Gut, Letzeres ist weniger Frage als Beleidigung, ich reagiere aber - wenn ich nicht grade mit unmittelbar drohenden Schlägen konfrontiert werde - genauso, als wäre eine Frage gestellt worden: Ich erkläre, nein, ich sei nicht schwul, ich würde aber grundsätzlich nichts gegen Homosexuelle haben, und wie mein Gesprächspartner denn zu die dieser Annahmen gekommen sei. Ich denke, die Antwort könnt ihr euch denken.
Und zu denken gibt mir auch dieses ganzen Geraffel über ein wenig ausgefallenere Schuhe (an dem Schal stören sich tatsächlich meistens nur die Bahnhofspöbeler): Ausgefallene Schuhe an sich sind aktzeptiert, sogar gewünscht in einer Gesellschaft, in der gefälligst jeder möglichst individuell zu sein hat (Ulrich Beck lässt grüßen) und dennoch, und dennoch... ein bitterer Beigeschmack bleibt, grade bei einen solch unfreiwilligen Selbstversuch.
Schwul sein, das ist gesellschaftlich etabliert, niemand (zumindest niemand, auf dessen Meinung ich etwas geben würde) hält es noch für krank, die meisten behaupten, es sei nichts besonderes, viele sagen sogar, sie fänden es gut, in irgendeiner Form, und dennoch, und dennoch...
Der Unterschied wird klar, wenn man die toleranten Heteros mit hemmungslosen Homos konfrontiert: Viele zucken zurück, wenn sie zwei Männer knutschen sehen, andere schlagen schon die Augen nieder, wenn jemand nur betont feminin gekleidet ist, und ein Mann der MakeUp benutzt (und dies auch öffentlich zugibt, unter der Hand ist es ja längst alltag) wird von vielen direkt als Transe denunziert - verrückte Welt.
Es ist also völlig normal, schwul zu sein, aber bitte nicht direkt vor meinen Augen. Bitte nicht da wo es alle sehen können. Bitte, führt doch eine homosexuelle Beziehung, aber bitte, keine Ehe, das geht doch nicht, die Ehe muss den biologisch richtigen Menschen verbehalten bleiben (Kinder kriegen und so, ihr wisst schon... als gäbe es nicht schon genug Menschen auf der Welt) Bitte, auch niemand aus meinem Freundekreis. Und bitte, flirte mich nicht an, denn ich bin keine verdammte Schwuchtel und ich nehme das als persönliche Beleidigungen du kleiner - !
Schwul sein, das ist eins dieser wunderbaren Themen, an denen man erkennen kann, was ich bei mir die "Schizophrenität der Gesellschaft" nenne: Naaatürlich ist es völlig in Ordnung schwul zu sein, etwas anderes zu sagen wäre ja polititsch inkorrekt, aber dennoch... Naaaatürlich sind Ausländer völlig normale Personen, aber 'nen Polen würd ich meinen BMW nicht einparken lassen... Naaaaatürlich haben wir die Türken selbst ins Land geholt, und danke für den Döner wo wir grad dabei sind, aber es sind ja doch häufig diese Leute die Streit anzetteln...
Über sowas könnte ich kotzen. Stunden- und tagelang. Da sind mir einfache Rassisten doch noch lieber, da weiß man woran man ist, sie sind einfach zu dumm zu begreifen was sie grade tun, aber dieser feine Rassismus, der unsere Gesellschaft durchzieht... überall spürbar, nirgendwo wirklich packbar... wirklich, ein gruseliges Gefühl, und es wird schlimmer.
Darum hier der Aufruf: Achtet auf euch selbst! Ich zum Beispiel, ich habe Vorurteile! Ich wende sie nie auf einzelne Personen an, darauf bin ich stolz, aber dennoch, ich habe sie. Und es ist nur natürlich, der Mensch sucht von Natur aus nach Mustern, an denen er sich festklammern kann, und welches Muster ist einfacher als Schwarz/Weiß (ein weiterer Beweis für die Dummheit von Neonazis, dene die Fähigkeit für ein abstraktets, grauzonenbezogenes Denkenvöllig abgeht), aber bitte, klammert euch nicht allzu zu sehr daran fest. Achtet aufeinander. Und entscheidet jedesmal auf's Neue, ob eure Vorurteile auf das vor euch stehende Individuum passen. Damit fährt man ganz gut, glaube ich.
Und wenn euch demnächst jemand mit pinken Schuhen entgegenkommt: Lächelt ihm kurz zu. Ich würde mich freuen, ganz ehrlich.
Autor: MisterPink
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3 Kommentare:
Was für eine Antwort erwartest du jetzt, Schwuchtel!
Ok ernsthaft. Ich habe mir mittlerweile das Hobby angeschafft, ganz bewusst mit Vorurteilen zu übertreiben, um Reaktion zu provozieren. Entweder die Leute sind tiefstempört (was ich ja hoffen will) oder sie stimmen mir gedankenlos zu. Offenbart wirklich viel über die Mitmenschen
mach ich auch gerne allerdings musste shcon wissen wo du das bringen kannst! :D innem vorstellungsgespräch würd ich sowas zurückhalten!^^
ausserdem kann man so leute gut zum nachdenken bringen!
hab' mich mal über ähnliches ausgelassen. auf der einen seite sagen die leute: "scheiß rassismus - ich bin tolerant!" aber auf der anderen seite "bloß keine größte moschee in köln - was soll denn das? wir sind ein christliches land und außerdem dürften wir in instanbul auch nicht die größte kirche der welt bauen. da dürften wir noch nicht einmal christ sein." das bringt einen dann schon manchmal zu weißglut.
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