Sonntag, 2. November 2008

Kunst.



Der Titel dieser Rede ist "Kunst - Was sie uns bedeuten kann und wie wir mit ihr umgehen sollten."
Zur Hälfte Deutschhausaufgabe, zur anderen ein Stück Herz :>
Ein paar Mitschüler wollten sie hier veröffentlicht sehen.
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Kunst.
Kunst kommt von können.
Käme sie von wollen, nennte man sie Wulst.
Kunst ist nicht gewollt, nicht erzwungen, sie ist frei. So frei wie ihre Entscheidung, heute Abend so zahlreich zu erscheinen. Im Namen des Literaturclubs heiße ich Sie willkommen.

Kunst bedeutet also gewissermaßen Freiheit, sie will nicht eingegrenzt werden, nicht eingeschränkt, nicht gekürzt werden. Wir leben in einer Zeit, in der es ein Ding der Selbstverständlichkeit ist, mit jedem Wimpernschlag einen neuen Reiz aufzunehmen. Selbst die älteren Generationen lassen sich von dieser neuen Welt einholen; Internet statt Tageszeitung, Fernsehen und Radio statt Kino und Plattenspieler. Wo das Auflegen einer Schallplatte noch ein Beweis für die Wertschätzung eines bestimmten Künstlers oder einer bestimmten Band war, ist das Radio ein Apparat, mit dem man ziellos massenkompatible Mischungen und belangloses Geschwalle konsumiert, ohne sich direkt dafür zu interessieren. Dieser Habitus lässt die Motivation verschwinden, ein bestimmtes und individuelles Interesse zu entwickeln. Ein Beispiel: Fragt man einen Radiohörer nach dem Hintergrund seines aktuellen Lieblingsliedes, wird er nicht viel dazu sagen können, weil er durch das rasante Radioprogramm nicht zur tieferen Beschäftigung ermutigt wird. Ein Song nach dem anderen, dazwischen reizüberflutende Werbung. Jeder Beatles-Fan wiederum wird Ihnen den Hintergrund der Klassiker erklären können. Wussten Sie zum Beispiel, dass „Yellow Submarine“ einzig und allein aus der Idee heraus entstand, ein Kinderlied zu schreiben? Details, die noch so unwichtig erscheinen, machen die Kunst an sich aus – denn sie erwecken ein Werk zum leben, so lässt sich Kunst leichter erleben, weitergeben, in Gedanken weiterweben. Sich für etwas Zeit zu nehmen, eben für diese Details, macht es erst möglich, etwas verstehen und begreifen zu können.
Während man im Radio und Fernsehen alles nur leicht ankratzt, damit jeder Hörer bzw. Zuschauer mehr oder weniger befriedigt wird, führt das selbstständige Beschäftigen mit einer bestimmten Kunstform zu einer Entwicklung. Der ständige Wechsel und der rastlose Wandel in den Reizflutmedien lässt die Manifestation eines Grundgedankens oder überhaupt einer Meinung erst gar nicht zu, weil er keine ausgiebige und überhaupt ausreichende Beschäftigung ermöglicht. Besteht hingegen ein gewisses Interesse, die Motivation, etwas aus sich selbst heraus zu tun, so entstehen Gedanken, Fragen – die Beschäftigung mit einem Ding und mit sich selbst. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Meinungsbildung und die Entstehung von Charakter ihre Zeit brauchen, es ist Kunst, sich einer Sache so intensiv hingeben zu können, dass man an ihr wächst.
Zeit nehmen ist das Stichwort, Zeit nehmen muss man sich für die Kunst. Es ist keine Ausrede, wenn man sagt, man hätte keine Zeit. Das ist Quatsch – jeder Mensch hat gleich viel Zeit, und zwar 24 Stunden pro Tag. Entscheidend ist, was man mit ihr anfängt. Ob man sich nun für eine Stunde vor die Glotze hängt oder ob man zwanzig Seiten eines Buches in sich einsaugt, ist jedermanns freie Entscheidung. So frei wie die Kunst selbst.

Informationen im populären Fernsehen sind vorgekauter Einheitsbrei, der eine eigene Meinung zwar nicht unnötig macht, aber nicht fordert oder fördert. Kunst hingegen drückt sich auf einer ganz anderen Ebene aus, was auch die individuelle Entfaltung in ihr auf eine andere Ebene bringt. Kunst kann ein Gemälde sein, ein Musikstück, eine Bewegung, ein Satz, ein Text, ein Buch. Selbst in einem Gesichtsausdruck oder einer Momentaufnahme, manche nennen sie Photo, in allem steckt ein bisschen Kunst, und sie lädt dazu ein, sich mit ihr auseinanderzusetzen. „Die Schönheit liegt im Detail“, sagt man. Schönheit ist nur subjektiv erfahrbar, und jeder kann Schönheit erfahren. Somit kann sich auch jeder in Details verlieben, und in die Kunst. Erst kürzlich zeigte man mir ein Photo eines jungen Mädchens, das sich selbst photographiert hatte. *rhetorische Pause* Ich hätte Stunden damit zubringen können, es mir anzuschauen. Das erste, was mir auffiel, war nicht ihr Gesicht, nicht ihr Haar, nicht ihre Augen, obwohl ihr Gesicht den Groß- und Mittelteil des Bildes ausmachte. Es waren drei Knöpfe - rot, blau und grün – die aus der unteren rechten Ecke des Photos auf dem Schulterteil ihrer Jacke glänzten. Das hat mir in diesem Moment wieder einmal gezeigt, wie viel Details zur Schönheit einer Gesamtheit beitragen. Sie fordern eine gewisse Aufmerksamkeit, die wiederum Zeit erfordert, die sich jedoch jeder nehmen kann.
Dieses Schöne, was in allen Details steckt, sollte man nicht in der Eile des Alltags untergehen lassen. Dazu ist es viel zu schade.
Thomas Mann schrieb im Vorwort zu seinem „Zauberberg“, dass die Kurz- oder Langweiligkeit einer Geschichte niemals von der Zeit abhängig sei, die sie in Anspruch nehmen würde. Nur das Gründliche wäre wahrhaft unterhaltsam – im Handumdrehen würde man mit einer Geschichte nicht fertig werden. Es ist Kunst, eine Geschichte zu erzählen, ebenso ist es Kunst, sich einer Geschichte so hinzugeben, dass man Schönheit in ihr findet.
Nun stellt sich die Frage – „Wie sollen wir mit der Kunst umgehen?“.
Die Kunst kommt von können. – Man kann, man muss nicht.
Es steht jedem frei, wie er mit der Kunst umzugehen hat.
Eines steht fest: Kunst ist und macht frei.
Sie löst uns vom Alltag und verbindet uns wiederum mit ihm.
Wie schon Goethe sagte.

Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst,
und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.


Mit diesem Zitat möchte ich mich von Ihnen verabschieden;
ich wünsche uns allen noch einen schönen gemeinsamen Abend.


MK.